Das Gänseblümchen – Die Immerwährende

Wer erinnert sich nicht daran: Der Frühling war da, wenn sieben Gänseblümchen unter den Abdruck eines Fußes passten. Geflochtene Blütenkränze schmückten unsere Haare, und Sandsuppe wurde mit Gänseblümchen „verfeinert“. Ihre weißen Zungenblättchen dienten als Orakel: „Liebt mich – liebt mich nicht?“ – jede Blüte ein Hoffnungsschimmer.

Das Gänseblümchen (Bellis perennis), aus der Familie der Korbblütler, ist wohl die bekannteste Wildpflanze überhaupt. Selbst bei milden Wintern zeigt sie sich fast ganzjährig auf Wiesen, in Gärten, an Weges –   und Waldrändern. Selbst Schnee kann ihr wenig anhaben. Ihre Hauptblütezeit beginnt im März und reicht bis in den späten Herbst.

Der Name „Gänseblümchen“ rührt vermutlich daher, dass sie von Gänsen gerne gefressen wird – und dass das Abzupfen ihr Wachstum sogar fördert. Ganze Wiesen können sich so in ein weiß-gelbes Blütenmeer verwandeln. In manchen Regionen wird sie liebevoll Margrittli genannt – als kleine Schwester der Margerite.

Erkennungsmerkmale

Die Blüte sitzt auf einem kurzen feinen Stiel und wächst aus einer bodennahen flachen Rosette aus kleinen, eiförmigen, glatten Blättern, die am Rand leicht gewellt sind. Was wie eine einzelne Blüte aussieht, ist in Wirklichkeit ein Zusammenspiel vieler: Weiße, manchmal rosafarbene Zungenblüten umgeben einen gelben Fruchtknoten, den trichterförmigen Röhrenblüten – strahlenförmig (radiär) und lichtsuchend.

Das Gänseblümchen ist außergewöhnlich: trittfest, widerstandsfähig, lichtliebend. Es richtet sich immer wieder auf – selbst wenn es zertreten wurde. Als „Sonnenblume“ im Kleinen öffnet sie sich bei Tageslicht und schließt sich bei Regen oder Dunkelheit. Eine zarte, aber verlässliche Wetterzeigerin. Insekten, besonders Wildbienen und Schwebfliegen lieben sie als Nahrungsquelle.

Heilpflanze 2017

Das Gänseblümchen begleitet uns still und beständig – und doch wird seine Heilkraft oft unterschätzt. Es wirkt unterstützend bei Husten, Verdauungsbeschwerden, Erkältungen sowie bei Hautproblemen und kleinen Wunden – innerlich wie äußerlich.

Mit der Auszeichnung zur Heilpflanze des Jahres 2017 wollte der NHV Theophrastus (Verein zur Förderung der naturgemäßen Heilweise) diese oft übersehene Pflanze wieder ins Bewusstsein rücken – als Symbol für die Kraft der einfachen Dinge und die Bedeutung der Naturheilkunde.

Naturküche & Volksheilkunde

In der Naturküche lässt sich das Gänseblümchen vielseitig einsetzen – sowohl Blüten als auch Blätter sind essbar. Ihr Geschmack erinnert leicht an Feldsalat, ist nussig-frisch; ältere Blätter können etwas bitter sein.

Reich an Vitamin C, Kalium, Magnesium, Phosphor, Eisen und Calcium – dazu Bitterstoffe, Gerbstoffe, Saponine und ätherische Öle – ist es ein kleines Kraftpaket. Es verfeinert Dips, Salate, Suppen oder ein einfaches Butterbrot.

In der Volksheilkunde wird das Gänseblümchen wegen seiner regenerierenden Kraft auch als „kleine Schwester der Arnika“ bezeichnet. Es unterstützt die Verdauung, hilft bei Prellungen, Quetschungen oder Zerrungen. Hildegard von Bingen empfahl es zur Kräftigung von Kranken und in der Augenheilkunde – daher der Name Augenblümlein.

Ein Sirup aus Gänseblümchen, Thymian, Schlüsselblume, Holunderblüten und Spitzwegerich – aufgekocht mit Honig – erleichtert das Abhusten bei festsitzendem Schleim. Die enthaltenen Schleimstoffe und Saponine wirken dabei unterstützend.

Auch in stärkenden Frühlingstees, z. B. gemeinsam mit Schafgarbe, Löwenzahn und Brennnessel, entfaltet das Gänseblümchen seine Wirkung: leberanregend, blutreinigend, heilend.

Mythologie

Das Gänseblümchen steht für Liebe, Reinheit, Heilung – und für die stille Schönheit der Natur. Kein Wunder, dass sich so viele Geschichten um diese kleine Blume ranken.

Zur Frühjahrs-Tagundnachtgleiche ehrten die Germanen die Göttin Ostara, deren Lieblingsblume das Gänseblümchen war. Sie galt als Hüterin der Fruchtbarkeit und der Erde – und zeigte den Menschen, wie aus Samen Leben wächst. Das Gänseblümchen wurde dabei als Orakel verwendet, Zungenblütchen für Zungeblütchen ausgezupft.

Auch die Kelten, die im Einklang mit der Natur lebten, verehrten es: Als eine der ersten Blüten des Jahres galt es ihnen als Symbol für Wiedergeburt und den ewigen Kreislauf des Lebens.

Eine christliche Legende erzählt, dass Maria auf der Flucht vor Herodes weinte – und dort, wo ihre Tränen den Boden berührten, das Gänseblümchen wuchs. Es wurde ihr geweiht und erhielt die Namen Mariablümchen oder Muttergottesblume.

Doch meine liebste Geschichte stammt aus der römischen Mythologie:

Die Nymphe Belides

Belides – eine anmutige Nymphe – lebte mit anderen Naturgeistern in Wiesen und Gärten, frei, fröhlich und voller Licht. Der Gott Vertumnus, Herr der Jahreszeiten und Obstgärten, der Felder und Gärten, hatte sich in sie verliebt – und bedrängte sie in vielen Gestalten, denn er konnte sich nach Belieben verwandeln. Mal in einen Bauern, einen älteren Mann oder auch einen Gärtner.

Doch Belides wollte frei bleiben – sie war Tochter der Natur, nicht Objekt göttlicher Begierde. In ihrer Not bat sie die Götter um Hilfe. Aus Mitgefühl erhörten sie ihre Bitte – und verwandelten sie in eine kleine unscheinbare, aber anrührende Blume mit weißem Kranz und goldenem Herzen: das Gänseblümchen.

Noch heute trägt es ihren Namen: Bellis perennis – die immerwährende Belides.

Fazit

Es lohnt sich, dieser kleinen Blume mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Sie begleitet uns das ganze Jahr, ist für Kinder leicht erkennbar und schenkt uns – fast unbemerkt – Heilung, Freude und Verbindung zur Natur. Mit ihren Inhaltsstoffen und ätherischen Ölen ist sie eine Bereicherung für Küche und Hausapotheke – und ein Symbol für stille Stärke und Beständigkeit.